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Diesmal heißt es »TiSA«

Corinna Baldauf

Ein Kommentar von Schrödinger.

ACTA haben wir erfolgreich niedergekämpft, bei TTIP/TAFTA und CETA regt sich bereits erheblicher Widerstand und wir dürfen hoffen, auch hier Erfolg zu haben. Aber bereits seit einem Jahr findet – bisher weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit – der nächste Angriff auf die in jahrzehntelanger Arbeit gesicherten Rechte der Arbeitnehmer und Verbraucher statt.

Diesmal heißt es »TiSA«

Das »Trade in Services Agreement« oder auch »Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen« ist noch schwerer zu durchschauen, als die beiden anderen Verhandlungsstränge. Denn ganz offensichtlich mit Erfolg werden hier wirklich alle Informationen von der Öffentlichkeit ferngehalten.

Wer wissen will, worum es geht, muss ziemlich lange suchen. Und auch dann findet man nur wenige verlässliche Informationen. Aber immerhin: Es gibt einen Abriss auf der Seite der Europäischen Union und eine Seite der australischen Regierung, aus denen klar wird, dass hier ein exklusives Gremium von 23 Staaten, einschließlich der Europäischen Union, Vereinbarungen »for new or improved market access« treffen will.

»Emerging Markets«, also z.B. die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind nicht beteiligt. Und gerade dort erlebt der Dienstleistungssektor zur Zeit einen Wachstumsschub. Da hätten Regelungen nach dem Rezept der bekannten »Freihandelsabkommen« fatale Folgen. Nicht verwunderlich also, dass diese Staaten keine Verhandlungen außerhalb des WTO-Rahmens wünschen.

Aus den spärlichen Dokumenten geht jedoch bereits schemenhaft der taktische Plan hervor, nach dem die Übereinkünfte – die klar über das GATS-Abkommen von 1995 hinausgehen sollen – über mehrere geschickt geplante Stufen schließlich als WTO-Regelwerk installiert werden sollen. So sollen sie schließlich doch weltweite Gültigkeit erlangen.

Alleine der organisatorische Rahmen lässt also bereits nichts Gutes ahnen.

Was steckt inhaltlich dahinter?

Hier erfahren wir noch weniger. Aber immerhin »leakt« die Seite der australischen Regierung: »There negotiations will cover financial services; ICT services (including telecommunications and e-commerce); professional services; maritime transport services; air transport services, competitive delivery services; energy services; temporary entry of business persons; government procurement; and new rules on domestic regulation to ensure regulatory settings do not operate as a barrier to trade in services.«

Da ist das ganze Gruselkabinett zusammen:

  • Financial Services: Hier ist ganz offenbar wieder einmal das Ziel, z.B. laxe Europäische Kontrollstandards für den Finanzsektor auch auf die USA auszudehnen, wo nach dem Platzen der Lehman-Brothers-Blase erheblich verschärfte Regularien eingeführt wurden.
  • Energiewirtschaft: Wer noch Stadtwerke oder kommunale Energieversorger kennt, die sich als lokale Dienstleister in öffentlicher Hand zunächst einmal dem Gemeinwohl verpflichtet sehen, hat’s gut. Denn neben der Privatisierung solcher Betriebe – ein Verbleib in öffentlicher Hand wäre ja eine »barrier to trade in service« – wäre natürlich auch ein vorgeschriebener Energiemix ein solches Handelshemmnis. Einen ersten Vorgeschmack davon, was Privatisierungen im Bereich der Daseinsvorsorge bedeuten, hat der Berliner Wassertisch ja bereits erlebt. Künftig dürften sich solche Volksabstimmungen allerdings erübrigen, denn Handelshemmnisse… ach, das sagten wir ja schon. Und damit sind wir dann auch den Qualitätsverschlechterungen und Preiserhöhungen weitestgehend ausgeliefert.
  • Internationale Leiharbeit: Ist damit eine freie, weltweite Migration gemeint, wie sie sich die PIRATEN wünschen? Nein, hier geht es sicherlich eher darum, dass der internationale Austausch von Arbeitskräften erleichtert wird, damit auch in Industrienationen das weltweite Lohngefälle ausgenutzt werden kann. Warum aufwändig anderswo neue Fabriken bauen und einheimische Arbeitnehmer einstellen, wenn man die eigenen Fabriken problemlos mit billigen Arbeitskräften von anderswo betreiben kann?
  • Einkäufe der öffentlichen Hand: Ist es jetzt bereits schwierig genug, regionalen Dienstleistern den Zuschlag zu geben, wird es künftig sicherlich noch schwieriger werden, z.B. Nachhaltigkeitsaspekte in Ausschreibungen zu berücksichtigen – ganz einfach weil sich irgendein beteiligter Staat finden wird, in dem das nicht möglich ist und Dienstleister aus diesem Staat dann sagen können: das ist ein »barrier to trade in service«, das wollen wir weg haben.

Bereits die wenigen Einreichungen für die nächste Verhandlungsrunde, die – wohl eher versehentlich – unter der Webseite der australischen Regierung verlinkt sind, sprechen Bände:

Auf der einen Seite steht die Wunschliste einiger Interessensverbände, die alle mühsam erarbeiteten Qualitätskriterien für Dienstleister auf einen Streich vom Tisch haben möchten. Hier sei »seek the elimination of discriminatory foreign ownership provisions such as equity caps, localisation requirements, performance requirements, discriminatory economic needs tests« aus der Einreichung des Australian Service Roundtable (ASR) als Beispiel genannt.

Auf der anderen Seite äußern NGOs bereits frühzeitig und »auf Verdacht« Bedenken gegen typische Elemente solcher »Freihandelsabkommen«. So widerspricht z.B. das Australian Fair Trade and Investment Network vorbereitend privaten Schiedsgerichten – wir kennen das als »Investor-State Dispute Settlement« (ISDS) aus TTIP – und »Freibriefen« für heute noch unbekannte Dienstleistungssparten.

Aber vielleicht liegen wir da ja auch völlig falsch und die Verhandlungen zielen auf eine bessere Welt ab, in der die Unternehmen zum Nutzen der Menschen arbeiten? Ja, das kann sein. Aber dann könnten die Verhandlungsparteien uns das doch ganz einfach alles erzählen. Dann gäbe es überhaupt keinen Grund, dass sich »Really Good Friends« in Hinterzimmer zurück ziehen und dort im Geheimen Verträge aushandeln, die sie dann aufsässigen Staaten mit abweichenden Meinungen über Bande aufzwingen wollen – und letztlich uns allen.

Denn diese Freunde – soviel ist klar – sind nicht unsere Freunde. Das sind die Freunde internationaler Unternehmen, die sich so auch noch der letzten Schutzräume bemächtigen wollen.

Was muss passieren?

Ich habe mit Bruno Kramm, dem Beauftragten der Piratenpartei für das «Freihandelsabkommen« TTIP und Kandidat der Piraten fürs Europäische Parlament, gesprochen und ihn gefragt, was er sich für TiSA wünscht – in Analogie zu den Forderungen, die wir in unserem Wahlprogramm für TTIP aufgestellt haben.

Bruno fordert ganz klar:

Alle TiSA-Verhandlungen müssen – ebenso wie die zu TTIP und CETA – gestoppt oder ausgesetzt werden.

Als Bedingung für eine Wiederaufnahme solcher Gespräche fordert er:

  • Alle Dokumente zu den bisherigen Verhandlungen und die bisher an den Verhandlungen beteiligten Personen müssen umgehend veröffentlicht werden. Ebenso alle Personen und Institutionen, die bisher Zugang zu den Verhandlungen oder zu Verhandlungsdokumenten hatten.
  • Die Öffentlichkeit, das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente müssen regelmäßig und aktuell über Fortgang und Stand der Verhandlungen informiert werden. Den Parlamenten und der Öffentlichkeit ist ein mindestens gleichrangiges Informations- und Mitspracherecht einzuräumen, wie Großunternehmen und Interessenverbänden. Die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen müssen besser berücksichtigt werden.
  • Die TiSA-Verhandlungen müssen in Verhandlungen im Rahmen der WTO aufgehen. Es darf in diesem Bereich keine Staaten geben, die von den Verhandlungen ausgeschlossen werden und denen das Verhandlungsergebnis über taktische Winkelzüge nachträglich aufgezwungen wird.
  • TiSA darf keine Privatisierungsverpflichtungen enthalten, sondern muss die Entscheidung hierüber den lokalen Verantwortlichen und der Bevölkerung überlassen. Eine weitere Deregulierung von Finanzdienstleistungen lehnen wir angesichts der Erfahrungen der Finanzkrise ab. Eine solche darf nicht durch TiSA vorgesehen werden.

Ansonsten fordern wir die bereits in unserem Wahlprogramm vorgesehenen Grundsätze für Internationale Handelsabkommen.

Was tun wir?

Besorgte Piraten haben bereits eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht, in der einige dieser Forderungen aufgenommen werden:

Der Deutsche Bundestag möge die Bundesregierung auffordern, sich gegen das geplante „Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“ (TiSA) zwischen der EU und den mit verhandelnden Staaten auszusprechen.
Der Bundestag möge darüber hinaus die Bundesregierung auffordern, sich für einen sofortigen Stopp der Verhandlungen der Europäischen Union und den weiteren verhandelnden Staaten auszusprechen.

Auch bei der für TiSA federführenden Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission haben wir bereits Anfragen gestellt:

Wir werden euch informieren, wenn die Fragen beantwortet werden.

Es ist gut, wenn über solche Dinge geredet wird. Aber bitte mit allen – und für alle sichtbar. Denn dann können wir sicher sein, dass nicht die Interessen der Bürger über den Tisch gezogen werden, sondern gemeinsam an einer Zukunft mit weniger Grenzen bauen.

Vielen Dank an Uwe Henkel und an die AG Europa für die Mithilfe bei diesem Text.

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