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Er hat es wieder getan: Sigmar Gabriel und die Netzpolitik

Bild: CC-BY 2.0, Tobias Eckrich
Bild: CC-BY 2.0, Tobias Eckrich

Eine Polemik von Uwe Henkel aka @smegworx.

Ja, es ist ein Problem, dass Google durch geschicktes Abrunden seiner Servicepalette seine Informationserhebung über unser Leben immer weiter vervollkommnet. Dass die »Google Nest«-Aktion von peng! dem einen oder anderen erst spät als Satire auffiel ist kein Zufall. Google bietet eine hervorragende Servicequalität an und umarmt die Benutzer mit Mehrwertdiensten, die so wohl nur schwer anderswo zu finden sind. Und die nehmen dieses Angebot an: Unsere Privatsphäre stirbt nicht nur an unkontrollierbar gewordenen Geheimdiensten, sondern auch an unserer eigenen Bequemlichkeit.

Natürlich könnte man Google etwas entgegensetzen: Innovative Produktideen »Made in Europe« zum Beispiel. Aber man tut es nicht. Weder hier, noch anderswo. Denn es gibt nichts konkurrenzfähiges – nicht einmal im Ansatz.

Wie die Kaninchen vor der Schlange

Zwar haben sich inzwischen die heimischen Freemail-Anbieter dazu durchgerungen, sich im Speicherplatzangebot für den elektronischen Briefkasten ein wenig an die Zeit anzupassen. Ansonsten setzt man allerdings eher auf zweifelhafte Angebote wie DE-Mail und präsentiert bunt blinkende Portale, anstatt dem »Großen Bruder« aus Übersee echte Innovation gegenüber zu stellen. Die Verlage, aber auch die Unterhaltungsindustrie mauert sich auf den Geschäftsmodellen des vergangenen Jahrtausends ein und fordern von der Politik Geschenkkörbchen nach Geschenkkörbchen für ihr »Intellectual Property« – denn nicht die Urheberrechte sind es, die ihnen am Herzen liegen, sondern ihre eigenen Einkünfte. Und die Politik spielt mit: Mit der »Urheberrechtsreform«, beim sogenannten »Leistungsschutzrecht und künftig – da müssen wir keine Zweifel haben – sicherlich auch bei der Netzneutralität. Das Schlimme dabei: Diese Versuche, die Unternehmensinteressen zu bedienen, schaden diesen Sparten. Denn je länger sie sich einmauern können, desto weiter geraten sie ins Hintertreffen.

Google macht in der Zwischenzeit das, was es am besten kann: Benutzer gewinnen mit hervorragenden, kostenfreien Angeboten. Natürlich macht das Angst, denn der Preis dafür kommt durch die Hintertür: Wir geben unsere Privatsphäre an der Garderobe der Google-Apps, der Google-Suche, der Google-Betriebssysteme ab. Wir bezahlen mit unseren Daten.

Die Bürger sollten alarmiert sein. Die Politiker sollten alarmiert sein. Wir alle sollten über Lösungen nachdenken. Aber nicht über »konservative« Lösungen, also wie wir überkommene Geschäftsmodelle konservieren und ins Informationszeitalter hinüberretten können, bis es endgültig zu spät ist, sondern über neue und innovative Ansätze. Über solche Ansätze, wie sie – leider – Gooogle in so übermächtiger Weise entwickelt. Nur eben unter Achtung der Persönlichkeitsrechte, der Privatsphäre und der Vertraulichkeit der Kommunikation.

Zwei Fliegen mit einer Klappe?

Und angesichts dieser Herausforderung hat nun der Meister gesprochen. Der Wirtschaftsminister hat mit einem langen Text in der FAZ die Stimme erhoben und uns an seinen Visionen teilhaben lassen. Ziel seiner Attacken ist Google. Weil es gerade ein Urteil gab. Und weil man da ungefährlich draufhauen kann, denn auch der Koalitionspartner stößt in dieses Horn.

Was Sigmar Gabriel von Wirtschaftspolitik versteht, oder besser was er unter Wirtschaftspolitik versteht, das hat er ja bereits bei seinem zögerlichen – aus »sozialer« wie aus »demokratischer« Sicht sehr merkwürdigem – Verhalten gezeigt, wenn es um TTIP, TiSA und die anderen »Freihandelsabkommen« geht, mit denen sich Konzerne endlich die lästigen Interessen der Arbeitnehmer und Verbraucher und auch die Spielregeln der Demokratie vom Hals schaffen wollen. Trotz aller Kritik ist er sich nicht zu schade, Karel de Gucht eine Plattform für Äußerungen wie »Aber bis Sie 500 Millionen zusammen haben, ist es noch ein weiter Weg.« zu bieten. Aber in der Tat: Die Kommission arbeitet daran, durch ihre Geheimniskrämerei auch den letzten Bürger Europas gegen TTIP, TiSA und wie die ACTA-Zombies alle heißen, aufzubringen.

Auch in der »Google-Frage« hat sich Gabriel nun als »Genosse der Bosse« erwiesen. Denn er versucht, in dieser verfahrenen Situation zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits möchte er – gerade in Zeiten des NSA-Skandals und dem wachsenden Bewusstsein für die gesellschaftspolitische Relevanz des Netzes – »Kompetenz« und »Handlungsfähigkeit« in Sachen Netzpolitik demonstrieren. Andererseits möchte er die Konzerne vor – so seine tief empfundene Meinung – unfairer Konkurrenz schützen.

Das ist menschlich und taktisch nachvollziehbar, misslingt aber – nicht ganz unerwartet – in beiden Komponenten vollkommen. Warum das mit dem Einmauern nicht klappen kann, habe ich oben schon ausführlich erläutert. Dass es auch mit Netzpolitik und Datenschutz nicht weit her ist, erkennt man nicht daran, dass Gabriel die Bedeutung des kürzlich gefällten Urteils des Europäischen Gerichtshofes einseitig und falsch als großen Sieg der Persönlichkeitsrechte über die Allmacht des Netzes einschätzt. Das mag noch als Schnellschuss durchgehen. Dass er das Urteil jedoch als »Chance, sich zu wehren gegen eine scheinbar ungreifbare Ausbeutung ihrer persönlichen Informationen« zeigt: Er hat überhaupt nichts begriffen. Denn wir werden die Vorratsdatenspeicherung bekommen, wie zuvor das Leistungsschutzrecht, die Bestandsdatenauskunft und die Änderung des Meldegesetzes. So sehen Angriffe gegen die informationelle Selbstbestimmung der Bürger aus – zugelassen von Gabriels SPD.

Und so schlägt er gleich doppelt daneben.

Worum es wirklich geht

Dabei nennt Gabriel bereits wichtige Aspekte der Herausforderung.

»Wir müssen den Bürgern die Verfügungsmacht über den Gebrauch der digitalen Technologie sichern und, wo sie schon entglitten ist, zurückerobern.«

Das ist richtig. Es muss für jede Regierung ein dringendes Anliegen sein, Wirtschaft, Polizei, Verwaltung und Geheimdienste auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung zu verpflichten. Nicht nur ein »Digitales Briefgeheimnis«, sondern die vollwertige Umsetzung der Grundrechte auch im »Neuland« muss auf die »Digitale Agenda« – und ins Grundgesetz. Weg mit Vorratsdatenspeicherung, Bestandsdatenauskunft und Verramschung unserer persönlichen Daten über die Meldeämter. Und klare und durchgesetzte Regeln, die sicherstellen, dass wir keine Angst mehr davor haben müssen, dass eigene und fremde Geheimdienste über jedes Fitzelchen Information herfallen, dessen sie habhaft werden können. Keine Vorratsdatenspeicherung jedes Seitenaufrufes, jeder Suchabfrage, jeder e-Mail mehr. Und wirksame, verständliche und umsetzbare Regeln für den privatwirtschaftlichen Umgang mit unseren Daten. Eine nachhaltige Europäische Datenschutzgrundverordnung und zahlreiche andere Maßnahmen – über die wir reden müssten, anstatt unsere Zeit mit ständigen Abwehrschlachten gegen die nächste Aushöhlung der Grundrechte zu verschwenden – könnten die Basis dafür bilden.

»Die Wirtschaftspolitik steht vor der fundamentalen Herausforderung, die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft auf die Höhe des digitalen Zeitalters zu bringen.«

Auch das ist richtig. Sehr richtig sogar. Aber man muss es eben auch richtig machen. Nicht das Konservieren des Althergebrachten ist die Lösung, sondern das Suchen (no pun intended) nach innovativen Geschäftsmodellen, die die Möglichkeiten des neuen Mediums ausschöpfen, oder wenigstens anreißen. Ob es sinnvoll ist, sehr große Player zu zerschlagen, muss diskutiert werden. Viel wichtiger wäre es, zunächst die kleinen, unabhängigen Player zu unterstützen und ihre neuen Geschäftsmodelle zuzulassen statt sie im Interesse der Platzhirsche zu behindern. Ein modernes und zeitgerechtes »Urheberrecht« statt eines Verwerter-freundlichen »Copyright« wäre ein Schritt dazu. Und deutlich erkennbare Maßnahmen, wenn Geheimdienste versuchen, mit »verseuchter« Hardware auch sorgfältig abgesicherte Firmengeheimnisse auszuspähen. Aber nicht nur die Wirtschaftspolitik muss fit gemacht werden für das neue Zeitalter. Auch die Möglichkeiten des Internets für Bildung, Kultur und inter- oder besser übernationalen Austausch müssen endlich verstanden und für die Menschen nutzbar gemacht werden. 100MBit/s in jeden Haushalt, freies WLAN überall, Netzneutralität und – wieder – Datenschutz bilden wichtige Voraussetzungen dafür.

Zieht Sigmar Gabriel hier die richtigen, zukunftsgerichteten Schlüsse?

Ich stelle das mal in Frage.

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