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Erschrecken über den 9. November – Felix E.Czosnowski im Interview

Kein Fußbreit für Nazis

FelixECzosnowski-300x300Der 9. November wurde für vieles zum Jahrestag. Von der Hinrichtung des Freiheitskämpfers Robert Blum 1848 über die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann 1918, den Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, die Reichspogromnacht 1938 bis zur Maueröffnung 1989. Dabei ist diese Aufzählung nicht vollzählig und sicher auch nicht abgeschlossen. Wir fragten Felix Czosnowski, bis März 2015 Attaché für die israelischen Piraten, wie er den 9. November im Allgemeinen wahrnimmt – und was 2015 besonders ist.

Flaschenpost: Was verbindest du mit dem 9. November?

Felix Czosnowski: Der Schicksalstag in der deutschen Geschichte mit all seinen Geschehnissen ist für mich als Jude natürlich primär ein Gedenktag. Wir begehen dieses Jahr den 77. Jahrestag der Reichspogromnacht und ich werde, wie könnte es anders sein, an diversen Gedenkveranstaltungen im Raum Aachen teilnehmen. Ich finde gerade diesen Tag so wichtig, weil gerade die Geschehnisse um die Reichspogromnacht zeigen, wie Menschen instrumentalisiert werden können, um die schlimmsten Dinge anzurichten, die ein Mensch sich vorstellen kann. Aufgestachelt loszuziehen, Läden zu verwüsten, Synagogen in Brand zu stecken und Männer, Frauen und Kinder zu verprügeln.

Flaschenpost: Wie ist die Situation heute? Fühlst Du Dich in Deutschland sicher?

Felix Czosnowski: Ich sag mal so: generell fühle ich mich in Deutschland sicher, die Synagogen in Deutschland werden alle ausnahmslos rund um die Uhr polizeilich geschützt. Es gibt allerdings Orte, wo ich nicht als Jude irgendwie erkennbar sein möchte. Das muss nicht zwangläufig im Zusammenhang mit Nazis stehen, eine Bedrohung geht auch von muslimischer Seite aus, welche antisemitisch agieren, radikalisiert durch den Nahostkonflikt.

Flaschenpost: Die Republik ist im letzten Jahr politischer geworden, viele Protagonisten stehen weit rechts. Williy Brandt wollte “Mehr Demokratie wagen”. Wollen AfD und Pegida mit Massenaufmärschen “Mehr Weimar wagen”?

Felix Czosnowski: Natürlich betreiben AfD und Pegida bewusst Stimmung gegen Flüchtlinge und wenn man sich die Resultate so anguckt, sind sie leider sehr erfolgreich. Schon jetzt zählen wir über das 5-fache an Attacken auf Flüchtlingsheime als im Vorjahr. Zur Zeit brennen ca. drei Flüchtlingsheime pro Tag und ein Ende dieses Terrors ist vorerst nicht in Sicht. Den Vergleich der momentanen Gesamtsituation mit der Weimarer Republik zu ziehen, würde ich nicht tun, da wir heute eine ganz andere politische Situation haben als nach dem ersten Weltkrieg. Müsste ich Vergleiche ziehen, würden mir zuerst die rechtsradikalen Attacken von Rostock-Lichtenhagen und Solingen einfallen, aber ein Zusammenhang zum Aufstieg des Nationalsozialismus sehe ich nicht.

Flaschenpost: In Braunschweig darf Bragida vor dem Rathaus demonstrieren. Auch Michael Mannheimer, der nach einem Urteil des Landgerichts Stuttgart als “bekannter Neonazi” bezeichnet werden darf, wird zu der Veranstaltung erwartet. Was ist davon zu halten?

Felix Czosnowski: Demonstrationen sind eine politische Meinungsäußerung und als solche natürlich vom Grundgesetz geschützt. Durch die Aktivität alter und neuer Gruppen sind Demonstrationen und Kundgebungen rechter Gruppen inzwischen leider keine Ausnahme mehr, sondern traurige Regel. Gefährlich ist es, wenn sich demokratische Parteien mit diesen Gruppen zusammentun und so geächtete Positionen vom rechten Rand immer weiter in die Mitte der Gesellschaft tragen und so salonfähig machen.

Flaschenpost: Wo siehst du, dass rechte Positionen von etablierten Parteien übernommen werden?

Felix Czosnowski: Inzwischen fast jeden Abend, wenn ich die Nachrichten einschalte. Insbesondere die CDU/CSU scheint sich berufen zu fühlen, durch Statements und absurde politische Forderungen, die auch von einer rechtsradikalen Partei kommen könnten, öffentlich aufzufallen. Der Unterschied ist, dass die CDU/CSU in der Bundesregierung sind und ein Millionenpublikum erreichen.

Flaschenpost: Felix, sind Dir andere Kollaborationen zwischen rechten und demokratischen Parteien bekannt geworden?

Felix Czosnowski: Ja, sogar sehr eindrucksvoll im letzten Jahr als die CDU in Thürigen zusammen mit AfD, NPD und sogar den in Thüringen sehr starken Kameradschaften am 9. November eine Demonstration in Erfurt organisierten. Die Demonstration war angemeldet, um gegen den neuen Ministerpräsidenten Thüringens Bodo Ramelow zu demonstrieren. Der Anmelder aus Reihen der CDU hatte zu einem Lichtermeer aufgerufen. Die AfD und andere sahen das als willkommenen Anlass zu einen Fakelmarsch. Das zum Jahrestag der Reichspogromnacht ist maximal geschmacklos. Insbesondere da der Demonstrationszug an der alten Synagoge von Erfurt vorbei führte. Es entstanden dort Bilder, die man aus der Zeit des Nationalsozialismus kannte und eigentlich für abgeschlossene Geschichte hielt. Nein, so etwas darf einfach nicht wieder stattfinden. Aber es kam wie es kommen musste: Mehrere tausend Menschen folgten dem Aufruf und so zelebrierten Rechtsaußen und CDU eine gruselige Veranstaltung.

Flaschenpost: Was haben Piraten gegen den Aufruf getan?

Felix Czosnowski: Wir haben haben versucht, eine Gegendemonstration zu organisieren und auf die Problematik der Situation aufmerksam zu machen. Wenn sich rechte Schläger und Vertreter etablierter Parteien zusammen tun, ist das eine gefährliche Mischung. Die CDU sollte es besser wissen, als sich mit diesen Gruppen gemein zu machen. Leider fanden wir bei den Vertretern der CDU kein Gehör für unsere Sorgen. Auch die anderen Parteien waren mit unterschiedlichen Beweggründen sehr zurückhaltend. So dass am 9. November ein paar Antifas, eine Gruppe der Linksjugend Solid und eine Handvoll Piraten alleine waren, die sich zur Gegendemonstration zusammenfanden. Unser politischer Geschäftsführer Kristos Thingilouthis war damals live mit dabei, als der Gegendemo Sprechchöre mit “Wer Deutschland nicht liebt soll Deutschland verlassen” aus einer von der CDU angemeldeten Demonstration entgegen geschmettert wurden .

Flaschenpost: Welchen Eindruck hat das ganze auf Dich gemacht? Welche Schlüsse hast Du für Dich daraus gezogen?

Felix Czosnowski: Mich hat das ganze sehr erschreckt, vor allem, wie schnell es gehen kann. Wenn sich Gruppen aus der Mitte der Gesellschaft mit Rechten zusammentun, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Wie schnell eine kleine Gruppe dann zu Außenseitern erklärt wird, gegen die dann gemeinsam vorgegangen wird. Das Ganze erinnert an alte vergangene Zeiten und sollte uns zu mehr Wachsamkeit auffordern, darauf zu achten, was am rechten Rand passiert und aktiv dagegen einzustehen, damit solches Gedankengut keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft findet.

Flaschenpost: Die Statistik weist für Brandstiftung eine Aufklärungsquote von fast 50% aus. Dabei scheinen brennende Flüchtlingsheime eine Ausnahme darzustellen – die Täter werden nur in den seltensten Fällen ermittelt. Warum sind rechte Brandstifter so schwer zu fassen?

Felix Czosnowski: Es mag an der großen Anzahl neuer Einrichtungen und der schieren Anzahl der darauf verübten Anschlägen liegen. Trotzdem müsste es den zuständigen Stellen doch spätestens nach den ersten Vorfällen bekannt gewesen sein, dass diese Gebäude besonders gefährdet sind. Diese Brandanschläge müssen als das gebrandmarkt werden was sie sind: rücksichtslose und feige Terroranschläge ohne Rücksicht auf Menschenleben. Das muss auch von der Politik eingesehen werden, damit sie der Polizei und Justiz die nötigen Mittel geben, um diese Straftaten zu verfolgen. Wenn ich mir aber die Ermittlungen zu rechtsmotivierten Straftaten der letzten Jahre so anschaue, lässt mich das wenig hoffen. Gerade bei Rechtsterrorismus, wie bei dem Terrornetzwerk NSU, scheint es den Behören schwer zu fallen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das gesamte Ausmaß der Verwicklungen zwischen Verfassungsschutz und NSU ist ja bis heute noch ungeklärt.

Flaschenpost: Ist es von brennenden Fackeln der Pegida-Bewegungen weit bis zu brennenden Flüchtlingsheimen, Synagogen und Moscheen oder gar Menschen?

Felix Czosnowski: Wie wir dieses Jahr leider feststellen mussten, ist es das nicht. Die Anzahl der rechten Straftaten war laut Bericht der Bundesregierung in den letzten Jahren rückläufig. Trotzdem sind heute brennende Flüchtlingsunterkünfte tägliche traurige Realität und den Tätern ist es gleich, ob sie dabei Menschenleben in Gefahr bringen oder nicht. Es liegt in unser aller Verantwortung, das wieder zu ändern.

Flaschenpost: Justizminister Heiko Maas sagte mit Blick auf Pegida unlängst “Wer Galgen und Hitlerbärten hinterherlaufe, für den würden keine Ausreden mehr gelten”. Welche Taten muss die Regierung ihren Worten nun folgen lassen?

Felix Czosnowski: Die Bundesregierung ist in der Situation, dass sie die Möglichkeit hat, zu handeln. Was ich aber sehe ist, dass beide Regierungsparteien mehr darum besorgt sind, ihre Umfragewerte mit markigen Sprüchen aufzubessern, statt Probleme tatsächlich anzupacken. So war der Bundesregierung schon vor Monaten bekannt, dass sich die Fluchtbewegung aus Syrien verstärken würde. Trotzdem war sie nicht dazu in der Lage, geeignete Vorkehrungen rechtzeitig umzusetzen. Diese Kurzsichtigkeit im politischen Handeln bekommen wir jetzt zu spüren. Ich erwarte, dass die Bundesregierung proaktiv nach vorne geht und die Probleme jetzt anpackt, anstatt weiter nur darüber zu reden. Dazu gehört es, sich der Menschen, die unseren Schutz suchen, anzunehmen und eine klare Kante gegen rechte Hetzer und Brandstifter zu zeigen.

Flaschenpost: Vielen Dank für das Gespräch Felix. Hoffen wir auf einen ruhigen 9. November ohne Ausschreitungen im nationalen Taumel.

 

Gastbeitrag von Michael Renner, dem Chefredakteur der Flaschenpost.

About Michael Renner

Als Chefredakteur leite ich die Redaktionsarbeit. Das bedeutet hauptsächlich: Koordination der Redaktion und Versand des wöchentlichen Newsletters. Daneben bleibt leider nur wenige Zeit für eigene Artikel. Chefredakteur der Flaschenpost zu sein bedeutet auch Ansprechpartner Nr. 1 für die Leser zu sein.

1 Kommentar zu “Erschrecken über den 9. November – Felix E.Czosnowski im Interview

  1. „Ausschreitungen im nationalen Taumel.“

    Welchen „nationalen Taumel“ meint Ihr? Bislang sieht man eigentlich Gedenk-Veranstaltungen, eine #PEGIDA Veranstaltung die sich beim Distanzieren von „Nazis“(tm) selbst überschlägt aber dennoch im Tenor eklig bleibt und einer IDF die ihre Netzwerke verwendet um antideutsches Agendasetting mittels des Gedenktags zu begünstigen. Aber alles ohne „nationalen Taumel“ bislang.

    Bis auf diesen Ausrutscher ein harmloses Interview.

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