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#Leere Versprechungen – Hartz IV und die Folgen – BGE als Alternative zum Hartz-IV-System

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Johannes Ponader - Foto: CC-BY 2.0 Tobias M. Eckrich
Foto: CC-BY 2.0 Tobias M. Eckrich

Autor: Johannes Ponader

Schauspieler und Regisseur Johannes Ponader lebt und arbeitet in Berlin. Von April 2012 bis Mai 2013 war er politischer Geschäftsführer der Piratenpartei. Seit Sommer 2014 realisiert Johannes Ponader zusammen mit weiteren Aktivistinnen und Aktivisten über die Plattform http://mein-grundeinkommen.de regelmäßig Grundeinkommensexperimente mit zufällig ausgewählten Menschen.

#Leere Versprechungen – Hartz IV und die Folgen – Teil 8 – BGE als Alternative zum Hartz-IV-System

Mitte Dezember bezog Heinrich Alt, SPD-Mitglied, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit und dort zuständig für Hartz IV, in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung zu der Idee Stellung, Hartz IV durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ersetzen. Zuerst beklagt er den ausufernden Verwaltungsapparat im Hartz-IV-System und sagt, er fände ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle „eine faszinierende Idee“. Dann führt er jedoch aus: „Aber wir würden den Menschen damit eine falsche Botschaft vermitteln. Im Kern heißt das doch: Wir brauchen euch nicht, aber wir lassen euch auch nicht verhungern. Das halte ich für einen zutiefst inhumanen Gedanken.“

Weiter: „Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. Es gibt kein anstrengungsloses Glück. Bundespräsident Gauck hat zu Recht gesagt: Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.”

In diesen wenigen Worten kommt der Kern der grotesken und menschenverachtenden Logik des Hartz-IV-Systems zum Vorschein, mit der sich dieses System seit seiner Einführung vor zehn Jahren rechtfertigt. Nicht nur, dass Menschen, die ALG-II beziehen, pauschal als „die Schwachen“ beschimpft werden. Das allein wäre schon menschenverachtend genug. Aber noch mehr: es ist auch Aufgabe der Gesellschaft, diesen sogenannten Schwachen „das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden.“

Anstatt zu erkennen, dass strukturelle Faktoren dazu führen, dass immer mehr Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, so wie es Torsten Sommer in seinem Beitrag bereits dargelegt hat wird die Schuld damit denen zugeschrieben, die auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt keinen Platz (mehr) finden. Wenn sie sich nur gut genug anstrengen, wenn sie sich fördern und fordern lassen, dann werden sie auch wieder unterkommen im kapitalistischen System, so die Logik.

Dahinter steckt die uralte Lüge des Kapitalismus: Jede und jeder kann es schaffen, wenn sie oder er sich nur genug anstrengt, sich also fördern und fordern lässt.

Doch selbst wenn das stimmen würde, wenn jede und jeder es schaffen kann, „nach oben“ zu kommen, dann stimmt auch: Wenn eine Person einen Schritt vorankommt, sich „hocharbeitet“, dann setzt sofort ein Wettbewerb gegenseitiger Verdrängung ein und es wird für alle anderen um so schwerer. In einem Arbeitsmarkt mit einer begrenzten Anzahl an freien Arbeitsplätzen bedeutet der Erfolg der einen, die Einstellung eines Menschen eben im gleichen Moment den Misserfolg, die Entlassung oder Ablehnung einer anderen Person. Jede und jeder kann es vielleicht schaffen, aber niemals alle, und schon gar nicht alle gleichzeitig.

Diese strukturelle Ebene missachtet Alt völlig. Wer mehr Erwerbsarbeitsplätze haben will, muss mehr Erwerbsarbeitsplätze schaffen, und nicht die Arbeitssuchenden schneller zu den vorhandenen Jobs peitschen. Das Rennen auf die vorhandenen Arbeitsplätze lediglich zu verstärken und zu intensivieren ist menschenverachtender Zynmismus.

Auch eine freiwillige Weiterqualifizierung von Menschen, die auf Arbeitssuche sind, ist aus volkswirtschaftlicher Sicht nur dann sinnvoll, wenn ein Fachkräftemangel herrscht, also ein Mangel an speziell qualifizierten Arbeitskräften in einem bestimmten Bereich. Dies ist aber nach übereinstimmender Meinung der Bundesagentur für Arbeit, von Branchenverbänden und Wirtschaftforschungsinstituten bei uns nicht der Fall.

In allen anderen Fällen kann nur eine Vergrößerung des Angebots an Arbeitsplätzen insgesamt dazu führen, dass mehr Leute einen Erwerbsarbeitsplatz finden. Hilfreich sind also beispielsweise die Förderung von Unternehmensgründungen und Selbständigkeit oder Maßnahmen, die Unternehmen zu Expansion und neuen Investitionen anregen. Hilfreich sind alle Maßnahmen, die das Angebot an Arbeitsplätzen vergrößern, nicht solche, die das Angebot an Arbeitskräften künstlich vergrößern.

Solange das nicht passiert, gleicht der Arbeitsmarkt einer Stuhlpolka: Es sind immer weniger Stühle vorhanden als Mitspielende, und ein Konkurrenzkampf entsteht, über den sich vor allem die Arbeitgebenden freuen. Ergattere ich einen Stuhl, muss jemand anders stehen bleiben und ausscheiden. Langfristig erfolgversprechend ist daher nur, die Zahl der Stühle zu erhöhen und damit den Stress aus dem Spiel zu nehmen.

Es geht also darum, Investitionen zu fördern, Ideenreichtum und Kreativität. Gelingt das aber, in dem ich wie Heinrich Alt „von den Schwachen etwas erwarte“? Nein, es gelingt, in dem ich allen Menschen etwas zutraue. Es gelingt, in dem ich Eigeninitiative fördere, in dem ich Kreativität fördere und den Mut, Neues zu probieren.

Im Hartz-IV-System berichten Selbständige immer wieder von besonderen Schikanen, denen sie ausgesetzt sind. Die eindrückliche Schilderung von Atari-Frosch zeigt es in aller Deutlichkeit auf. Als „normale“ Arbeitslose, die eine Angestellten-Tätigkeit anstreben, wurden sie in Ruhe gelassen, so lange sie ihre 10 Bewerbungen im Monat und ab und an eine sinnlose Maßnahme über sich ergehen ließen. Wehe aber, sie hatten vorgeschlagen, sich selbständig zu machen und darüber einerseits zu eigenem Einkommen zu kommen und andererseits zur arbeitsteiligen Gesellschaft etwas beizutragen. Plötzlich werden monatliche Einnahmen und Ausgaben genau kontrolliert und überwacht. Jede Betriebsausgabe muss gerechtfertigt werden. Und wenn das monatliche Betriebsergebnis einmal schlechter ausfällt, als prognostiziert, dann muss man schon mal längere Zeit auf das existenzsichernde Geld vom Jobcenter warten. Da ist es doch einfach und bequemer, die Kreativität beiseite zu legen und sich ganz konventionell fördern und fordern zu lassen. Das Gefühl, gebraucht zu werden, gibt es beim Jobcenter noch kostenlos dazu.

Das Gefühl, gebraucht zu werden, wohlgemerkt, Alt spricht hier nicht davon, dass die Betroffenen Menschen wirklich gebraucht werden. Nein, es geht ihm darum, ihnen ein „Gefühl zu geben“. Und genau das tun Eingliederungsmaßnahmen und Ein-Euro-Jobs. Sie geben ein Gefühl, nichts mehr. Allerdings wird – sobald man das System durchschaut hat – aus dem Gefühl, gebraucht zu werden, recht schnell die Gewissheit darüber, wie sinnlos das ganze Spiel ist.

Ein Umbau des Hartz-IV-Systems muss daher dort ansetzten, wo Eigenmotivation und Kreativität gefördert werden, wie es bereits Boris Turovski in seinem Beitrag dargelegt hat. Das heißt unter anderem, dass eigenes Einkommen bei Menschen, die ALG II beziehen, stärker bei den Bezugsberechtigten verbleibt, um nicht nur einen moralischen, sondern auch einen materiellen Anreiz für ein eigenes Erwerbseinkommen zu bieten, wie es auch bei jedem sinnvollen Grundeinkommenskonzept der Fall ist.

Heute ist es ja so: Wer zum ALG-II-Bezug dazuverdient, der behält von einem Bruttolohn von 8,50 € gerade mal rund 1,35 € in der eigenen Tasche. So ein Sozialsystem, das bei Bezugsberechtigten 85% des Zuverdienstes wieder abzieht, muss natürlich untrennbar mit Sanktionsdruck und Angst vor sozialer Stigmatisierung bei den Betroffenen verschweißt werden. Ein funktionierendes System jedoch, ganz gleich ob bedarfsgeprüft und arbeitszwangbewehrt wie das Hartz-IV-System oder bedingungslos wie beispielsweise ein garantiertes Grundeinkommen, muss neben Sinn und Wertschätzung auch einen materiellen Anreiz dafür bieten, um im Bereich der Erwerbsarbeit tätig zu sein. Freibeträge von mindestens 25-30% des Erwerbseinkommens wären daher das Minimum.

Das aber ist natürlich politisch nicht gewollt. Schon ein Freibetrag von 25% des Erwerbseinkommens würde den Kreis der Bezugsberechtigten enorm erhöhen. Alle Menschen, die heute für 8,50 Euro die Stunde in Vollzeit beschäftigt sind, dürften dann beispielsweise wieder aufstocken, und das, ohne dass man sie in irgendeiner Weise sinnvoll sanktionieren oder „fördern und fordern“ könnte – da sie ja bereits Vollzeit arbeiten. Da wäre der Glanz des gerade neu eingeführten Mindestlohns schnell dahin.

Und: Wenn der Kreis der Bezugsberechtigten rapide ansteigt, würde das zu einem weiteren enormen Anstieg des Verwaltungsaufwands führen, den Heinrich Alt in seinem Statement zu Recht beklagt. Man könnte nicht anders, als konsequenterweise die komplizierte Bedarfsberechnung aus dem Sozialsystem auszugliedern und an das Finanzamt zu übertragen, das sowieso spätestens am Jahresende wissen will, wie viel man verdient hat, das aber sehr viel unbürokratischer und mit weniger Verwaltungsaufwand leistet. Plötzlich wird es wieder einfach: Wer mehr als das Existenzminimun verdient hat, bezahlt Steuern, wer weniger als das Existenzminimum verdient hat, bekommt oben drauf.

Dann aber ist man bei einem Bedingungslosen Grundeinkommen in Form einer sogenannten negativen Einkommenssteuer angekommen. Seine Einführung würde die Sorgen von Heinrich Alt ein für alle Mal beenden. Er selbst hat das jedoch leider noch nicht verstanden. Hoffen wir, dass sich das ändert.

1 Kommentar zu “#Leere Versprechungen – Hartz IV und die Folgen – BGE als Alternative zum Hartz-IV-System

  1. Wenn ich mir ansehe wie gearde viele Mitbürger und die Medien gegen die GDL hetzen, bestätigt das wieder die Gefahr die ich in einem BGE sehe. Würde es eingeführt, gäbe es eine Medienkampange dagegen. Man würde iregend eine Fall ausgraben oder erfinden in dem ein Faulenzer die Dummen beschimpft,. die noch arbeiten gehen. Das BGE wäre bald wieder weg aber ob die dafür geopferten Reste des Sozialstaats dann wieder hergestellt würden halte ich für fraglich.
    Die Idee ist sicher gut gemeint aber in dieser Bild-, Glotze-, Bams – Republik ist sie gefährlich.

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